…und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat.“ (Psalm 103,2)
Zu einem gelingenden Leben gehört ein gutes Gedächtnis – ein gutes Gedächtnis nicht bloß für Namen, Fakten und Vokabeln, sondern vor allem für das Glück.
Es war das verflixte siebte Jahr – und die Ehe von Michael und Sabine stand vor dem Aus. Sie gaben sich einen Ruck und gingen gemeinsam zu einer Paarberatung. Und dann saßen sie da, mit dieser zwar netten, aber doch fremden Therapeutin, beide ein Häufchen Elend, ratlos und traurig. Wie hatte es nur soweit kommen können? Statt langer Zwiegespräche im Kerzenschein – Langeweile vor der Glotze. Statt Lust … Frust. Statt heißer Liebe nur noch kühles Nebeneinander. Michael klagt, dass Sabine ihm immer Vorschriften macht, immer an ihm rumkritisiert und rumerzieht. Sie klagt, dass er ihr nie zuhört, ihr den ganzen Alltags-Kleinkram überlässt, gar nicht mehr für sie da ist. Am Ende der ersten Therapiestunde, nach vielen Vorwürfen und vollgeheulten Tempotaschentüchern gibt die Therapeutin den beiden eine Hausaufgabe mit. „Vergessen sie mal alles, was Ihnen an Ihrem Partner missfällt. Überlegen Sie stattdessen, warum Sie, Michael, sich damals in Sabine verliebt haben. Und Sie auch, Sabine: Erinnern Sie sich: Womit hat Michael Sie damals verzaubert? Und schreiben Sie es auf einen Zettel: Was war gut, welche Glücksmomente gab es – damals, in der ersten Zeit?“ In der nächsten Sitzung haben Sabine und Michael ihre Hausaufgaben gemacht.
Zögernd beginnt Michael: „Es war bei unserer ersten Verabredung“, sagt er, „Du hattest dieses blauweiße Kleid an. Und deine langen Haare waren einfach der Hammer! Und dann ist dir ein Hacken vom Schuh abgebrochen. Aber du hast nur gelacht, hast die Schuhe in die Hand genommen und bist barfuß weitergelaufen. Ich fand das einfach hinreißend.“ „Und du hast für unser erstes Date deinen alten, klapprigen VW Polo geputzt – der glänzte, wie noch nie! Ich war irgendwie gerührt.“ lacht sie. „Und als dir das Auto ein paar Wochen später geklaut wurde, und ich war deshalb völlig entsetzt – da sagtest du: Egal, ist doch nur ein Auto. Hauptsache, du wirst mir nicht geklaut! … Deinen Charme und deine Gelassenheit fand ich toll!“ „Und wie du unser erstes Kind zur Welt gebracht hast“, erzählt er. „Ich war dabei und werde es nie vergessen!“
„Und wie du mir mit meiner Mutter geholfen hast nach ihrem Schlaganfall, das hätte ich nie erwartet!“ – sagt sie. Die Therapeutin meint, es könnte der Anfang einer Heilung sein für Michael und Sabine und ihre Ehe, wenn sie das Gute in ihrem gemeinsamen Leben nicht vergessen, sondern erinnern. Sich die Geschichten ihrer Liebe immer wieder erzählen. Und dann auch wiederbeleben, wieder an das anknüpfen, was sie damals, vor sieben Jahren miteinander angefangen haben.
Vergiss nicht das Gute in deinem Leben! Vergiss nicht, was Gott dir Gutes getan hat. Manchmal muss man – so wie Sabine und Michael – sich hinsetzen und überlegen: Was hat mein Leben reich und glücklich gemacht? Wofür bin ich dankbar, Gott dankbar?
Und was ist stärker als die Erfahrungen des Scheiterns, stärker als das Unglück, stärker als die vollgeheulten Papiertaschentücher? Gott will unser Leben heilen. Er ist an unserem Glück interessiert. Deshalb ist auch die Erinnerung an das Gute so wichtig. Lobe den Herrn, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat.
Thomas Steinbacher
(Radioandacht vom 22.9.2019)