Unsere Geschichte

Gemeindearbeit in den 1880er Jahren: „Religiöse Veranstaltungen ziehen den Berliner nicht an

Fast zwanzig Jahre lang war die kleine Gemeinde der Evangelischen Gemeinschaft in Berlin von Lokal zu Lokal, von Versammlungsort zu Versammlungsort in Berlin gezogen. Man hielt die aller ersten Gottesdienste zunächst bei den Diakonissenschwestern in der Klosterstraße 60 ab, wechselte im August 1888 in ein Vereinszimmer im Wirtshaus Zum Spaten in der Lothringerstraße, wo am 2. September 1888 nachmittags um fünf der erste öffentliche Gottesdienst gehalten wurde. Enttäuscht  zählte Prediger Knapp neben „wenigen Diakonissenschwestern und Bruder Winter nur drei Personen“. Doch schon eine Woche später fanden sich „neu fremde Personen“ ein, und als es Ende Oktober schon 50 waren, war klar: Ein kleiner Vereinsraum reicht auf Dauer nicht mehr aus. Die Gemeinde zog um und um. Doch die Zeiten blieben schwierig. „Das Mieten des Saales war immer noch leichter, als die Gewinnung von Zuhörern für die Wortverkündung. Religiöse Veranstaltungen ziehen den Berliner nicht an“, musste der Prediger seufzend erkennen. Die Diakonissen boten kostenlosen Handarbeitsunterricht an, um erste Gemeindemitglieder zu gewinnen, doch die Bilanz, die im Abschlussbericht des ersten vollen Jahres in Berlin gezogen werden konnte, war bitter. Ein neues Mitglied konnte gewonnen werden. Der Anfang war also zäh. Doch sehr, sehr langsam wuchs die Gemeinde und es mochte in den Anfangsjahren wie Traumtänzerei wirken, dass im Vertrauen auf Gott und in die Zukunft ein Bauverein für ein zukünftiges eigenes Gotteshaus gegründet wurde. Im ersten Jahr kamen immerhin 15 Mark zusammen.

Foto: unbekannt

Es mochte in den Anfangsjahren wie Traumtänzerei wirken, dass im Vertrauen auf Gott und in die Zukunft ein Bauverein für ein zukünftiges eigenes Gotteshaus gegründet wurde

Das erste Kirchengebäude von 1906: „Ein Gotteshaus, das sich gelungen und würdig repräsentiert“

Mehr als fünfzehn Jahre später war es dann so weit. Vom königlichen Eisenbahnfiskus konnte am 2. März 1905 ein Grundstück von 95 Quadratruten in der Dieffenbachstraße erworben werden. Im Oktober wurde der Grundstein gelegt. Der Bau ging glänzend und problemlos voran, nicht der geringste Unfall, so berichten historische Quellen, habe sich in der gesamten Bauzeit ereignet. Am 16. September 1906 wurde das Gotteshaus mit einem würdigen Gottesdienst eingeweiht. Der Herausgeber des „Evangelischen Messenger“, Dr. Spreng D.D., Naperville in Illinois, hielt eine „köstliche Einweihungspredigt“. Der Distriktvorsteher Prediger C. Bader weihte das Haus des Herrn als Christuskirche der Evangelischen Gemeinschaft in Berlin. „Die dankbewegte Festgemeinde legte an diesem Tag der Freude etwa 20.000 Mark als Opfergabe auf den Altar des neuen Gotteshauses, das sich“, wie es in einer Festschrift aus dem Jahr 1913 heißt, „in seinen äußeren Formen wie nach seiner inneren Einrichtung als durchaus gelungen und würdig repräsentiert.“ 375.500 Mark hatte das Haus insgesamt gekostet. Ein großer Teil des Geldes war aus den großen Gemeinden jenseits des Atlantiks in Amerika gesammelt worden. „Die Christuskirche“, so heißt es weiter, „zeigt jedermann, der Augen hat zu sehen, daß die Gemeinde Gottes noch immer die Wunderhilfe ihres Herrn erlebt. Niemand, keine Kirchengemeinschaft, hat wohl ärmer, kleiner, schwächlicher in Berlin begonnen, als wir vor 25 Jahren. Und nun dürfen wir auf solche herrliche vollendete Taten und Tatsachen des Glaubens sehen.“ Und auch die Berliner Zeitungen schwärmten von einem prächtigen Bau „in modernisierter Gotik, welcher der Straße zu großem Schmuck gereicht“.

Die Gemeinde im Ersten Weltkrieg: Kriegsgebetsstunden und Lazerettarbeit

Die Gemeinde wuchs und wuchs, von den Gottesdiensten heißt es immer wieder, „es verging kaum ein Sonntag, an dem unsere schöne und geräumige Christuskirche nicht bis auf die hintersten Plätze gefüllt gewesen wäre“. Doch dann kam der Krieg. Schon einen Tag nach dem Ausbruch, am 2. August, feierte der neue junge Pastor Schlüter, gerade erst in die Gemeinde berufen, mit dreißig männlichen Mitgliedern der Gemeinde, die „unter die Waffen gerufen worden waren“, und deren Angehörigen in einem bewegenden Gottesdienst das Abendmahl, bevor sie in den Krieg zogen. Im Verlauf der vier Kriegsjahre zogen insgesamt 61 Gemeindeglieder in den Krieg. Das Krankenhaus Bethesda wurde zu einem Lazarett. Und die Gottesdienste waren jetzt noch voller als zuvor. In den Kriegsgebetstunden war der Gemeindesaal immer bis auf den letzten Platz gefüllt. Auch der Pastor wurde viermal einberufen. Dreimal wurde er wieder zurückgestellt, doch im August 1918 musste auch er ins Feld. Insgesamt neun Gemeindemitglieder wurden verwundet, vier krank, zwei gerieten in französische Gefangenschaft und sechs Gemeindemitglieder fielen. Am 13. Juni wurde für die Gefallenen feierlich eine Gedenktafel enthüllt. Und wäre nicht, wie im Bericht des Pastors später hieß, „die wüste, wilde und tolle Revolution gewesen mit ihrem verhetzenden Durcheinander, so wäre von 1918 an die Gemeindearbeit wieder in ruhiger Bahn verlaufen“. Bald jedoch war die Revolution vorüber, Deutschland eine Republik und in der Christuskirche kehrte die ersehnte Ruhe ein.

Max Missmann Hohenstaufenplatz Berlin, 1907 16,50 cm x 23,00 cm Inv.-Nr.: IV 65/730 V © Stiftung Stadtmuseum Berlin Reproduktion: Christel Lehmann, Berlin

Bald jedoch war die Revolution vorüber, Deutschland eine Republik und in der Christuskirche kehrte die ersehnte Ruhe ein.

Umbauarbeiten in den 1920er Jahren: „Das liebe Gotteshaus erstrahlt in neuem Kleide“

Man konnte sich in Ruhe einigen Umbauarbeiten widmen. Die Orgel, die rechts neben dem Altar fest in der Wand verankert war, wurde 1922 auf die Empore versetzt und mit einem Motorantrieb versehen. Die Feuchtigkeit des Mauerwerks hatte ihr zugesetzt, auch kam der Klang des guten Instruments dort unten nicht richtig zur Geltung und außerdem war die Orgel auch für den Chor oder Solisten, die für ihre Darbietungen die Empore nutzten, viel zu weit weg. Jetzt hatte man nur leider ein furchtbar hässliches Loch in der Wand neben dem Altar. Nach unzähligen Besprechungen, Verschönerungsversuchen und Verhandlungen beschloss die Gemeinde, ein Bild anfertigen zu lassen. Die guten Beziehungen zum Kunstmaler Zirges ermöglichten es, dass dieser der Gemeinde die originale Bildschöpfung „Kommet her zu mir, die ihr mühselig und beladen seid“ der Gemeinde zum Materialpreis von tausend Mark anfertigte. Den „trefflichen Rahmen“ fertigte Bruder Treiber aus der Gemeinde in der Frankfurter Allee. Blieb noch das kleine Problem, dass die Gottesdienste durch starke Rauch- und Gasentwicklung gestört wurden, die der schadhaften Ofenheizung zuzuschreiben war. Doch auch dieses Problem konnte gelöst werden. Im Oktober 1928 erhielt die Christuskirche eine nagelneue Dampfheizung, die den Gemeindesaal in der kalten Jahreszeit angenehm warm hielt und die Luft klar und sauber. Kurz darauf wurde der Kirchturm neu eingedeckt, nachdem bei stürmischem Wetter immer wieder Ziegel heruntergefallen waren und Passanten in der Dieffenbachstraße gefährdeten. Im Oktober 1930 wurden neue Kupferplatten aufgelegt und auch das Turmkreuz wurde neu vergoldet. Nachdem auch noch alle inneren Räume auf Hochglanz gebracht worden waren, konnte am 27. September der 25. Geburtstag der Christuskirche festlich begangen werden. „Das liebe Gotteshaus“, heißt es, „erstrahlte an diesem Tage in einem neuen Kleide. Der Opfersinn unserer Geschwister und Freunde hatte auch in dieser schweren Zeit die Neuausmalung ermöglicht.“

„Das liebe Gotteshaus“, heißt es, „erstrahlte an diesem Tage in einem neuen Kleide.“

Die Gemeinde in den Vorkriegsjahren: „Heraus aus der Kirche“

Doch die Zeiten wurden wieder unruhiger. Wiederholt wurde das Gotteshaus von Kommunisten mit Parolen beschmiert. Mit Sprüchen wie „Heraus aus der Kirche!“ forderten sie auch die Methodisten zum aktiven Widerstand auf. Während der Hitlerzeit, der Vorkriegszeit war die Christuskirche, wie der junge Pastor sich erinnert, immer gut gefüllt, „weil unsere Kirche eben keine Hofkirche ist“ und gegenüber den Regierenden immer distanziert und unabhängig wirken konnte. Als der Zweite Weltkrieg begann, musste der Pastor der Christuskirche in der Heeressportschule Wünsdorf seinen Kriegsdienst versehen. Er bekam immer über die Wochenenden frei, um weiter den Gottesdienst leiten zu können. Doch dann geschah das Unglück.

Zerstörung im Zweiten Weltkrieg: „So sehen Churchills ‚militärische Ziele‘ aus“

Als erste Kirche in Berlin und wohl in ganz Deutschland wurde die Christuskirche bei einem der ersten Bombenangriffe der Royal Air Force auf Berlin, in der Nacht vom 30. auf den 31. August 1940 von zwei Brandbomben getroffen. Und auch das Bethesda-Krankenhaus erlitt schwere Schäden. Die Kranken konnten vorher in den Keller gebracht werden, so dass niemand verletzt wurde. Der Schaden war jedoch beträchtlich. Durch die ganze Welt ging damals die Nachricht, dass die Engländer in Deutschland Kirchen und Krankenhäuser zerstörten. Das Auswärtige Amt hatte noch in der Nacht Berichterstatter vor Ort geschickt, um Zeugen zu vernehmen und die Nachricht propagandawirksam zu verbreiten. In den Zeitungen prangte am nächsten Tag über Bericht und Bildern der stark beschädigten Kirche die Überschrift „So sehen Churchills ‚militärische Ziele‘ aus“. Viele tausend Schaulustige kamen am Sonntag darauf, um das beschädigte Gotteshaus zu besichtigen. Die Gemeinde hatte Glück: „Alles, was durch Bomber zerstört wurde, wurde wieder tadellos von der Stadt und staatlichen Stellen in Ordnung gebracht. Wir haben nach der Bombardierung den entstandenen Gesamtschaden angemeldet und in wenigen Wochen stand die Kirche wieder da. Schöner als vorher“, erinnert sich der Pastor. Doch es sollte alles viel schlimmer kommen. Im Herbst 1944 wurde die Christuskirche erneut schwer getroffen. Das Dach und alle Fenster waren komplett zerstört. Und diesmal war an keine schnelle Hilfe mehr zu denken. Gottesdienste fanden nicht mehr statt.

Foto: Peter Gregor

Der Kirchensaal war voll mit den Möbeln Ausgebombter. Die Orgel stand im Regen. Langsam, ganz langsam ging der Wiederaufbau voran.

Wiederaufbau in den 1940er Jahren: Spenden aus Amerika

Als der Pastor nach kurzer amerikanischer Kriegsgefangenschaft wiederkehrte, bot sich ihm ein Bild des Jammers. Schutt überall. Um zum Hinterhaus und Nebenhaus zu gelangen, musste über den Hinterhof ein Steg gebaut werden. Der Kirchensaal war voll mit den Möbeln Ausgebombter. Die Orgel stand im Regen. Langsam, ganz langsam ging der Wiederaufbau voran. In die Fensterrahmen klebte man Pappe, in die man bald kleine Löcher schnitt und notdürftig verglaste. Bald kam Hilfe aus Amerika. Die Bischöfe Epp und Stamm hielten 1947 im zerstörten Gotteshaus einen eindrucksvollen Gottesdienst und mit Spenden aus Amerika konnten auch schon bald wieder Fenster eingesetzt werden. Nur die Orgel machte Kummer. Doch mit viel Geduld machte sie Orgelbauer Dinse wieder halbwegs spielfähig. Es wurde renoviert und aufgebaut. Eine heimatlose Baptistengemeinde nutzte Ende der 1940er Jahre die Räume der Gemeinde, wann immer sie frei waren, doch als der Baptistenchor einmal nach einer Probe versehentlich eine Kerze brennen ließ, brach ein großes Feuer aus und die Renovierung des Gemeindesaals begann von vorne.

Neubeginn im Jahr 1962: „Herrlich vollendete Taten und Tatsachen des Glaubens“

Die letzten Kriegs- (und Baptisten-) Schäden waren 1962 beseitigt. Auch eine neue Orgel erhielt das Gotteshaus. Lange war überlegt worden, wie man das 37.800 Mark teure Instrument finanzieren könne, doch die Opferbereitschaft der Gemeinde war enorm. Erstaunt stellte der Pastor fest, dass man sie sofort und komplett bezahlen konnte. Vierzehn klingende Register enthielt das neue gute Stück. Im Abnahmegutachten heißt es begeistert: „Die Prospektgestaltung ist ausgezeichnet gelungen. Die Verwendung von Zinn und Kupfer ergibt eine lebendige Gliederung; der Schalldeckel in Verbindung mit dem Gehäuse passt hervorragend in den neugotischen Bau hinein. Die Intonation wurde sehr sorgfältig und ausgewogen geführt.“ Und so klingt die prächtige Orgel bis heute, nach all den Wirrnissen der Zeit, immer noch durch den Gemeindesaal der hundert Jahre alten Kirche und erinnert triumphierend an den würdigen Satz, der zum 25. Geburtstag der Christuskirche geschrieben wurde: „Niemand, keine Kirchengemeinde hat wohl ärmer, kleiner schwächlicher in Berlin begonnen, als wir. Und nun dürfen wir auf solche herrliche vollendete Taten und Tatsachen des Glaubens blicken.“

Text aus der Festschrift zum 100. Geburtstag der Christuskirche am 16.09.2006
Erzählt von Volker Weidermann

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